Adelstitel sind eine typische europäische Erscheinung. Über die Geschichte von Adelsfamilien haben viele Historiker geforscht. Und doch ist die Entstehung des Adels im Mittelalter bis heute nicht völlig geklärt. Anhand der bisherigen Forschung sieht man, wie bestimmte Quellen aus dem Mittelalter über die Zeit hinweg von verschiedenen Wissenschaftlern recht unterschiedlich interpretiert wurden. Ab wann es das gibt, was wir heute als Adel begreifen, ist deshalb umstritten. Doch es gibt gängige Thesen, die immer wieder vertreten wurden.
Einen wichtigen Meilenstein der historischen Forschung stellt dabei das 1939 erschienene und von Marc Bloch verfasste Buch “Die Feudalgesellschaft” dar. Diesem lässt sich entnehmen, dass es bereits zur Zeit der Merowinger und Karolinger, also im frühen Mittelalter, einen Adel gab, der ein erhebliches Maß an Boden besaß. Dazu zählt Bloch die Robertiner ebenso wie die Welfen aber auch eine Reihe von Aufsteigern, die am Hof oder über den Dienst in der Kirche Karriere machten. Bloch beschreibt, wie der politische Einfluss dieser Familien immer weiter stieg. Im Militär aber auch in der Verwaltung dominierten demnach ganz bestimmte Familien.
Während einer unruhigen Zeit lösten dann andere Familien diesen Einfluss ab. Als nämlich zwischen 800 und 1000 unserer Zeitrechnung die Wikinger und andere Gruppen in Europa einfielen, kamen Familien zur Macht, die sich mit dem Schwert stark gegen diese Angriffe zur Wehr setzten. Auch durch Verteidigungsleistung konnten also Adelstitel erworben werden. Die Familien, die hier die Verteidigung auf sich nahmen, hatten nicht in jedem Fall einen adligen Hintergrund. Manche waren zuvor sogar unfrei. Der Adel dieser Zeit wird auch als Schwertadel bezeichnet. Aber er setzte sich ebenfalls zum Teil aus den alten Eliten mit Adelstitel zusammen. In der nächsten Zeit entstand ein Feudalsystem mit umfangreichen Abhängigkeiten. Adelstitel sicherten die Möglichkeit, in dieser Pyramide weiter oben zu stehen.
Im dreizehnten Jahrhundert hatten immer mehr Menschen einen Adelstitel. Auch solche, die aus Familien kamen, die zunächst nicht einmal frei waren, konnten sich durch militärische Dienste oder in der Verwaltung bewähren und zu einem Adelstitel kommen. Jedenfalls verstanden sich Familien, die entsprechend ausgezeichnet wurden, in der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts selbst als Adel zu begreifen.
Neben dem bloßen Adelstitel wurde dieses Bewusstsein durch bestimmte Standesideale zusätzlich verstärkt. Ritterliche Turniere und der Minnesang trugen zu einer Begründung ritterlicher Tugenden bei, die ein großes Ansehen unter der Bevölkerung genoss. Wer einen Adelstitel trug, wurde damit in Verbindung gebracht. Ganz gleich, ob jemand zu den ursprünglich freien und mächtigen zählte oder aufgrund einer bestimmten Leistung zu diesem Kreis hinzukam ist – ab dieser Zeit zählte er zum Uradel.
Aber ab wann erhält der Adelstitel nun die gesellschaftliche Bedeutung, wie wir sie heute kennen?
Eine der Quellen aus der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts ist der Sachsenspiegel. In ihm gibt es jedoch nur eine einzige Nennung des Wortes “Adel”. In der Heidelberger Bilderhandschrift, die es zum Sachsenspiegel gibt, werden die beiden Stände allerdings getrennt voneinander dargestellt. Es handelt sich demnach um zwei Klassen, die separiert gedacht wurden. Wann auch immer die Entstehung der Adelstitel und deren Bedeutung angenommen wird – zur Zeit dieses Dokuments waren sie offenbar bereits eine feste gesellschaftliche Größe. Der gesellschaftliche Einfluss dieser Gruppe unterscheidet sich jedoch durch die Jahrhunderte hinweg erheblich.